Leseproben aus der “Lavasteinzeit”
Zwei Geschichten in einem Buch: Vulkanausbruch La Palma und Anekdoten von der Isla Bonita
Liebe Leserinnen und Leser,
in diesem Beitrag gebe ich Einblicke in mein Buch “Lavasteinzeit”, in dem sich eine Überraschung versteckt. So manche Leserin und so mancher Leser schrieben mir, wie verblüfft sie waren. Denn ich berichte nicht nur, wie mein Mann Harry, viele Freunde und ich den Vulkanausbruch La Palma drei Monate lang hautnah erlebt haben. Parallel dazu erzähle ich außerdem meine ganz persönliche Story vom Auswandern auf die Isla Bonita, einige Anekdoten aus “der guten alten Zeit” auf der Insel und Geschichten von Land und Leuten. Also, viel Spaß mit den “Appetithäppchen” wünscht Ihre Gudrun Bleyhl!
Ein wirklich “schöner” Sonntag…
Vulkanausbruch La Palma Tag 1, Sonntag,19. September 2021: Hoppla! Um die Mittagszeit lupft mich ein Beben fast von den Füßen, als ich gerade den vorderen Garten gieße. Sofort renne ich ins Haus und checke im Büro am Computer, was das für ein Ding war: 3,8 mbLg steht auf der Website des Nationalen Geografischen Instituts (IGN), die ich gar nicht mehr schließe, weil ich sie sonst nicht mehr aufrufen kann. Aktualisieren funktioniert meistens noch, manchmal auch nicht mehr. Tausenden auf der Insel geht es wie mir, sie lassen die Internetseite mit den aufsteigenden Erdbeben nicht mehr aus den Augen. Der IGN-Server ist völlig überlastet. Weil mich bereits am frühen Morgen ein Riesenschlag aus dem Schlaf gerissen hatte – nur eine von unzähligen Erschütterungen in den vergangenen sieben Tagen – baue ich nun zusammen mit meinem Mann Harry im Garten unser kleines Zelt auf. Mein Sternbild ist Jungfrau, die sind halt vorsichtig und vorausschauend. „Lieber ein Zeltdach überm Kopf als ein Hausdach auf dem Schädel“, denke ich. Mein Mann schüttelt nur nachsichtig lächelnd den Kopf über meinen Aktionismus. Ist mir aber egal, ich bringe auch unsere Notfallköfferchen ins sichere Freie, eine Tüte mit Dosen und Nudeln landet in der Außenküche. Nur für den Fall, dass die Innenküche zusammenkracht. Nach der ganzen Hektik machen wir es uns unterm Orangenbaum hinterm Haus gemütlich. Doch plötzlich rummst es gewaltig, und der sonst so tiefenentspannte Harry brüllt: “Es geht los! Es geht los!”
Vulkanausbruch La Palma: Gnadenlose Lavawalze…
…In zwei Strömen walzt die mehr als 1.200 Grad heiße Flut schon in den ersten beiden Tagen mehr als 200 Gebäude auf ihrem Weg Richtung Todoque-Süd nieder. Sie brennen, werden vom Feuersteinfluss umgeworfen, geschmolzen und ausradiert. Die Lava bringt das Wasser in den Gartentanks zum Kochen, bevor sie sie platt macht – die Dampfwolken sind weithin zu sehen. Wenn sich der Rauch verzogen hat, ist alles Bunte und Grüne wie weggewischt. Was bleibt, ist die unheimliche Stille über einer neuen, schwarzgezackten Lavalandschaft. Denn die Tränen der damnificados, wie die urplötzlich ihrer Häuser beraubten Menschen auf La Palma genannt werden, sieht und hört man nicht…
Vulkanausbruch La Palma: ganz schön strombolianisch…
… Immer auf „Beruhigung der Bevölkerung“ bedacht, wiederholt das PEVOLCA-Komitee von der ersten Woche an gebetsmühlenartig, dass „alles was hier passiert, für einen kanarischen Vulkan normal“ sei. Dabei wechseln sich laut den CheckerInnen „Explosionen, bei denen schon mal die Fenster zerspringen können“, mit Phasen munter sprudelnder Lava ab, begleitet von „möglicherweise immer stärkeren Erdbeben“. Alles „typisch für einen strombolianischen Ausbruch“, lernen wir. Na prima: Jetzt kennen wir die offizielle Bezeichnung dieses Infernos, also Augen zu und durch!…
Auswandern auf eine gefährliche Insel?
… Trotz aller Lobeshymnen auf die Isla Bonita brauchte es sehr lange, bis ich mich zu meinem ersten La Palma-Trip durchrang. Und ausgerechnet ich wollte anschließend gleich hierbleiben. Das war schon ein bisschen durchgeknallt. Immerhin gab ich einen sehr guten Job für eine völlig ungewisse Zukunf auf. Nicht dass mich meine KollegInnen und der beste aller Chefs, der mir bis heute noch regelmäßig E-Mails schreibt, nicht gewarnt hätten: Nach Bekanntwerden meiner Auswanderpläne drapierten sie immer wieder Zeitungsausschnitte über den von den Risikoforschern Simon Day, Bill Mc Guire und Steven Ward schon 1999 beschworenen Inselabbruch mit Mega-Tsunami auf meinem Schreibtisch. Aber wie gesagt: Die Liebeshormone vernebelten mir das Hirn, sodass ich mit Harry auch fröhlich auf jedem daherschwappenden Mega-Tsunami nach Amerika gesurft wäre. Davon abgesehen, hatten korrekte WisschenschaftlerInnen diese Panikmache längst für haltlos erklärt…
Hommage an Cream-Gitarrist Jack Bruce
…Aber wenigstens hatten die rund 500 BesucherInnen der Rettet-die-Playa-Party ein einmaliges Erlebnis: Sie sahen auf der eigens aufgebauten Bühne am Atlantik nicht nur lokale Bands, sondern einen Auftritt von – man höre und staune – Jack Bruce! Der Sänger und Bassist der legendären Rockband Cream jettete damals öfter mal nach La Palma, denn seine Frau Gritli und Sohn Corin lebten manchmal wochenlang in ihrem Ferienhaus auf der Insel. Diesmal reiste Jack seiner Familie nach, weil Corin beim Playa-Konzert zum ersten Mal in seinem jungen Leben als Schlagzeuger vor Publikum auf die Pauke hauen sollte – zusammen mit der Rockband For Rain, in die ihn Musikfreund Ödi vorübergehend aufgenommen hatte. Da wollte Daddy dabeisein. Und nicht nur das: Jack ließ es sich nicht nehmen, zum ersten Mal gemeinsam mit Sohn Corin aufzutreten und den Kultsong Sunshine of your Love zum Besten zu geben. Wir alle feierten Jack für diese Unterstützung der Playarettung, und wir alle waren traurig, als der Komponist und Musiker 2014 starb…
Vulkanausbruch La Palma: A-Team rettet Hunde aus der Lava
…Wenn die Lava durchs Gelände läuft, bilden sich auf höhergelegenen Stellen oft kleine Inseln, auf denen Gebäude und Gärten unversehrt überleben. An einer solchen Stelle in der colada 1 werden eingeschlossene Hunde aus der Luft mit Futter und Wasser versorgt. Jetzt will die Firma Aerocameras die Tiere mit einem eigens dafür ausgetüftelten Drohnensystem retten. Die Behörden erteilen dem Versuch die Genehmigung, denn eigentlich verbietet das spanische Gesetz den Tiertransport per Drohne. Aber als die nicht ganz billige Rettungsaktion anläuft, fehlt von den Hunden plötzlich jede Spur. Stattdessen verkündet ein Schild auf der Insel im Lavameer Fuerza La Palma – los perros están bien. Unterzeichnet ist das Vorwärts-La-Palma-den-Hunden-geht-es-gut-Plakat mit A-Team. Ein typisch palmerischer Streich, bei dem wohl allen Leuten auf der Isla Bonita ein Schmunzeln übers Gesicht huscht: Ein paar furchtlose Typen pfeifen auf futuristische Technik und riskieren auf dem Marsch über das noch heiße Gestein Kopf, Kragen und fette Strafen, um ihre vierbeinigen Freunde zu befreien…
Vulkanausbruch La Palma: schlaflose und rote Nächte
…Zurück zur Spalteneruption auf La Palma: Wie im Lehrbuch werden Schlote verschüttet, und es bilden sich immer neue Öffnungen, aus denen mal Gase, mal Pyroklasten und mal Lava schießen. Und genau das macht mir Angst. Denn der Riss, orakeln die VulkanologInnen nun, könnte sich nach Nordwesten ausdehnen. Also genau in Richtung unseres Hauses in Tajuya. Je mehr ich dazulerne, desto weniger will ich eigentlich wissen. Die Spekulationen der Cracks rauben mir den Schlaf… Die Macht des Monsters zeigt sich vor allem in der Dunkelheit, denn es bringt sogar den Himmel zum Glühen. Besonders in der feuchten, zweiten Novemberwoche entzündet die Glut der Lava die Athmosphare bis hinauf in die Wolken, die Röte besiegt die Nacht. Schön für die Fotografen, ich finde es allerdings gruselig, wenn ich aus dem Schlafzimmerfenster schaue. Natürlich gibt es eine physikalische Erklärung für das Naturschauspiel: Wasser und Schmutzpartikel in der Luft reflektieren das Licht. Das nennt man Lichtverschmutzung, und die gilt es auf La Palma seit 1988 unbedingt zu vermeiden…
Vulkanausbruch La Palma: unberechenbares Monster
… In den nächsten drei Tagen bebt es rund 1.000 Mal, und völlig unerwartet fletscht das Ungeheuer in Las Manchas die Zähne: 850 Meter unterhalb des Friedhofs schießt am 4. Dezember Lava aus einem neuen Maul an die Erdoberfläche – unglaubliche 2 Kilometer vom Hauptkegel entfernt! Das schockt … ist man im näheren Umkreis des Vulkans überhaupt noch irgendwo sicher?…