Literarisch und ganz real:
Barbara Schlüter auf Kreuzfahrt
Barbara Schlüter pendelt seit 36 Jahren zwischen ihrer Heimat Hannover und La Palma. Die Historikerin nennt sich selbst einen „überwinternden Zugvogel“, und so war sie vom Vulkanausbruch zum einen betroffen, weil sie nicht in ihrer Wohnung in Tazacorte vor der deutsche Kälte Zuflucht suchen konnte. Aber auch, weil ihr einstiges Anwesen direkt unterhalb des Tajogaite in El Paraíso eines der ersten Opfer des tobenden Monsters wurde. Von Deutschland aus verfolgte sie die zerstörerische Flut der Lava mit Grauen und sagt, dass sie während dieser Zeit keine einzige Zeile geschrieben habe.
Doch mittlererweile ist die Schriftstellerin wieder in Topp-Form, hat ein weiteres Buch beendet und das nächste schon in der Mache. Das besondere an ihren Werken, die sie als „historische Gesellschaftsromane mit Krimitouch“ einstuft: Die promovierte Geschichtswissenschaftlerin serviert keine laue Null-acht-fünfzehn-Geschichte mit Liebesgeplänkel, sondern mit unglaublichem Detailwissen gepolsterte, spannende Unterhaltung, in der Frauen grundsätzlich eine mordswichtige Rolle spielen. Aber Achtung: Mit Hilfe ihrer Protagonistin Elsa und der angepassten Sprache katapultiert Frau Doktor Schlüter die Leserinnen und Leser von heute direkt ins ausgehende 19. Jahrhundert.
In den Genuss dieses Zeitsprungs kommen in den nächsten Wochen Passagiere der Aida Bella, mit der Barbara Schlüter dieses Wochenende in Hamburg ablegt. Sie wurde von der Reederei eingeladen, auf hoher See aus ihren Werken vorzutragen. Außerdem liest sie an Bord aus Reiseberichten von Hamburger Journalisten, die einst mit dem Doppelschraubendampfer Augusta Victoria auf eine der ersten Kreuzfahrten der Geschichte gingen. Grund: Ihr neuestes Buch Verschaukelte Liebe schippert im Kielwasser der einstigen Luxusreisen. Ich habe sie schnell noch interviewt, bevor sie in See stach.
Barbara, in Deinem neuesten Werk schickst Du Elsa und die Hannoveraner Familie von Elßtorff auf große Reise mit dem Doppelschraubendampfer „Augusta Victoria“. Wie bist Du eigentlich auf diese Idee gekommen?
Barbara Schlüter: Ich hatte einiges über Albert Ballin, den damaligen Direktor der HAPAG gelesen. Und der war mit der ersten „Lustreise zur See in den Orient“ 1891 tatsächlich der Erfinder der Kreuzfahrt. Als ich dann noch zahlreiches Material auf dem Archiv der HAPAG zur Verfügung gestellt bekam und gesichtet hatte, war für mich klar, dass es ein interessanter Bestandteil des Romans mit vielen authentischen Details wird.
Kreuzfahrten waren damals Luxus pur, im Blick auf die Verhältnissen im 19. Jahrhundert. Normalerweise schreibst Du ja immer mit Fokus auf die vor allem für Frauen sehr harten und ärmlichen Lebensumstände in dieser Zeit.
Barbara Schlüter: Das kommt auch in „Verschaukelte Liebe“ nicht zu kurz. Zum Beispiel durch das Magdalenium, das „Asyl für gefallene Mädchen“. Das wurde von Diakonissen geleitet und die Asylistinnen verbrachten dort meist zwei Jahre. Eine wichtige Rolle spielte die Wäscherei, was für den sogenannten Birkenhof bis in die 70er Jahre galt. Im Magdalenverein engagierten sich bürgerliche Frauen – es ging nicht nur darum, junge Frauen, oft uneheliche Mütter, zum Beispiel vor Prostitution und Alkoholmissbrauch zu retten, sondern sie wieder in die Gesellschaft zu integrieren.
Das geschah durch die Beschaffung geeigneter Lebensstellungen – das waren dann meist Beschäftigungen als Hauspersonal. Dienstmädchen allerdings wurden häufig vom Hausherrn oder Söhnen des Haus geschwängert, man sprach vom „cupido domesticus“, und/oder mit der Syphilis angesteckt, was wiederum zur Entlassung führte, und die wiederum häufig in die Prostitution. Es wundert wohl nicht, dass das Thema Abtreibung in diesen Zusammenhängen ebenfalls im Roman vorkommt.
Auch in der Verschaukelten Liebe kannst Du das Morden nicht lassen. Du sagst selbst, Deine Bücher seien Gesellschaftsromane mit Krimi-Touch. Und im Band mit den Erzählungen dreht sich ebenfalls alles um Mord und Totschlag in der sogenannten guten alten Zeit. Was reizt Dich denn so am Verbrechen?
Barbara Schlüter: Am Verbrechen reizt mich gar nichts. Blutige Krimis oder Thriller sind nicht mein Ding, die könnte ich nicht schreiben. Mir geht es darum, wie es zu einem Mord kommen kann – was muss vorher alles passieren, bis jemand verzweifelt beschließt, einen Menschen umzubringen, sei es geplant oder spontan bei einer unerwarteten Gelegenheit – wie in der Verschaukelten Liebe.
Heutzutage gelten Kreuzfahrten nicht unbedingt mehr als großer Luxus. Du selbst fährst jetzt auf der Aida Bella mit – was zieht Dich auf die hohe See?
Barbara Schlüter: Ein unwiderstehliches Angebot… ich werde als Autorin an Bord gehen und Lesungen anbieten. Darüber freue ich mich sehr, denn ich habe das mit dem Erscheinen der Verschaukelten Liebe mehrfach versucht, aber das hat in der Corona-Zeit, wo dauernd umgeplant oder abgesagt werden musste, nicht geklappt. Und ich freue mich riesig auf drei erholsame Wochen an Bord, wo ich mich um die alltägliche Versorgung nicht kümmern muss. Denn wenn ich zum Schreiben auf La Palma bin, ist das kein Urlaub im eigentlichen Sinn.
Lass uns noch kurz in die Zukunft blicken: Zur Zeit arbeitetest Du mit Hochdruck an Deinem nächsten Buch. Kannst Du Deinen LeserInnen schon einen kleinen Vorgeschmack geben?
Barbara Schlüter: Elsa und auch ihre Zwillingsschwester Emilie schlagen für die damalige Zeit ungewöhnliche Wege für eine berufliche Zukunft ein. Wahrscheinlich gibt es nur einen Mord, aber auch mindestens eine Hochzeit… Es geht aber auch um die Schicksale unehelicher Mütter. Und um ein schwieriges Thema, was leider damals wie heute akut war und ist, nämlich Mädchen- und Kinderhandel. Erschreckend ist für mich, wie durchorganisiert das war und außerdem international verbreitet.
Dazu passt ein Zitat von Victor Hugo aus Les Misérables
Das Elend des Mannes ist groß.
Wieviel größer ist das Elend der Frau!
Das Elend der Frau ist groß.
Wieviel größer ist das Elend des Kindes!
Offenbar hat es gute alte Zeiten nie gegeben und wenn, dann nur für einige Wenige…
Liebe Barbara, vielen Dank für das Gespräch. Ich wünsche Dir eine lustige Seefahrt mit vielen schönen Lesungen! Ich bedanke mich bei Aida Cruises für das Titelbild der Aida Bella.